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Label: Rookies & Kings
VÖ: 23. Oktober 2009
05.11.2009 - Wenn Wild vor etwas Angst hat, kommt es vor, dass es wie gebannt stehenbleibt und zu keiner Bewegung mehr in der Lage ist, obwohl das bekanntlich in aller Regel nicht die geeignetste Möglichkeit ist, der Gefahr zu entgehen. Der geneigte Nachts-um-vier-über-die-Landstraße-Heimfahrer wird das kennen.
Mir ging es so mit Frei.Wild. Immer wieder davon gehört, nie wirklich bewusst Frei.Wild selber gehört - und als "Hart am Wind", das stolze sechste Album der erst vor acht Jahren gegründeten Südtiroler Band dann auf meiner Reviewliste landet, scheue ich mich erstmal lange davor, die Scheibe wirklich aufzulegen. Was, wenn's mir nicht zusagt - würde mich zur Strafe jemand zu Rehragout verarbeiten wollen? Ich weiß nicht, wie es besagtem Wild geht, wenn es in seinen letzten Sekunden in die Autoscheinwerfer starrt, aber für mich war das eine Aussicht, auf die ich verzichten konnte.
Und die ich mir hätte sparen können, denn die vermeintliche Gefahr verliert ihren Schrecken, wenn man sich ihr stellt. Die Gelegenheit dafür ist günstig, denn zwei Drittel der Songs auf "Hart am Wind" stellen eine Art Best Of aus dem bisherigen Schaffen der Band dar, wurden für die Wiederveröffentlichung aber allesamt neu aufgenommen und aufpoliert.
Die größtenteils wirklich guten Texte überzeugen - hier erwartet einen Mitgrölmaterial mit ordentlich Galle ("Sieger stehen da auf wo Verlierer liegen bleiben", "Niemand"), aber auch mit Hirn (das technikkritische "Immer höher hinaus" oder "Arschtritt" mit seiner unkonventionellen Perspektive auf ein Beziehungsende). Musikalisch wird das erfreulich melodiös und mit gefälligen Riffs oder auch mal 'nem netten Solo durchsetzt serviert (nur "Stück für Stück" schlägt mit der spanischen Gitarre ruhige Töne an) - solider Deutschrock vom Schlage der Onkelz.
Ähnlich wie das auf das eingangs erwähnte Reh zurasende Scheinwerferlicht hat das Album aber durchaus auch seine Schattenseiten. Mit dem cleanen Streetrockgesang wurde ich zwar recht schnell warm, aber wo der dumpfe Oi-Einschlag durchkommt oder gar zu Metal-Growls tendiert ("Ich helf dir auf"), bleibt das Wildragout Geschmacksache.
Und während ein funktionierendes Sprachgefühl die vier Brixener stets erfolgreich vor den holprigen Texten manch anderer Gruppe bewahrt, klappt das mit Kitsch offenbar nicht so gut, denn der blitzt immer wieder durch, und etliche Lieder dominiert er gänzlich (stellvertrend seien "Irgendwer steht dir zur Seite" und "Unterwegs" genannt). Für den Hörer ist das mal problemlos verkraftbar, mal schon fast schmerzhaft.
Ähnlich geht's mit dem unnötigen Lokalpatriotismus, vor allem in "Südtirol", aber auch im sich immerhin von politischer Scheiße distanzierenden "Das Land der Vollidioten" vom 2006er Album "Mitten ins Herz", das hier neu aufgelegt wird, nachdem es zuletzt einiges Gerede um die damalige Parteizugehörigkeit des Sängers und entsprechende Konzertpläne gegeben hatte.
Ich kann nur jedem empfehlen, die ja wohl ausführlich genug erläuterte Reh-Taktik - einfach zu ignorieren was da kommt - nicht nachzuahmen und in "Hart am Wind" wenigstens mal reinzuhören. Wer das Frühwerk ohnehin schon kennt (auch wenn Frei.Wild im gleichnamigen Track angibt, die Band zu sein, "die keiner kennt") und schätzt, der dürfte kaum enttäuscht werden, zumal vieles ja schon bekannt ist. (ys)
Unsere Bewertung:
4 / 5 Punkte