Chuck Ragan

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Chuck Ragan

Redaktion: “Gold Country” ist schon dein zweites Soloalbum. Wünschen sich die Leute im Publikum eigentlich immer noch Hot Water Music Lieder bei deinen Konzerten?

Ja, sicher. Die Mehrheit der Leute interessiert sich für meine Musik, weil ich bei Hot Water Music war. Was toll ist, ich schätze mich glücklich dafür. In den letzten Jahren gibt es eine Entwicklung des Publikums, es kommen Leute zu Konzerten, die keine Ahnung haben, was Hot Water Music ist, die noch nie von Hot Water Music gehört haben, und das ist ziemlich cool. Natürlich wünschen sich die Leute immer noch Lieder, ich spiele auch normalerweise ein paar. Ich habe nur noch nie viel Energie darin investiert, alte Lieder zu lernen. Üblicherweise schreibe ich nur neue Sachen. Aber die meisten alten Hot-Water-Music-Songs und auch insgesamt waren auf Akustikgitarre geschrieben. Später im Prozess dann haben wir die Instrumente angesteckt und laut gespielt. Viele Lieder lassen sich gar nicht auf Akustik übertragen, aber ich genieße es, neue Sachen zu schreiben und zu spielen.

Redaktion: Denkst du, dass auf dieser Tour mehr Leute für Chuck Ragan, den Solokünstler, oder Chuck Ragan, den ehemaligen Hot Water Music-Sänger kommen?

Ich weiss es wirklich nicht. Wie gesagt, viele Leute kommen ja, weil ich bei Hot Water Music war. Und in den letzten Jahren gab es eine Entwicklung. Wir haben von einer Menge Leute gehört, mehr als je zuvor, dass sie uns zum ersten Mal gehört haben, oder dass sie von uns im Radio erfahren oder etwas gelesen haben und deswegen vorbeikamen, um es auszuchecken. Wir haben gute Rückmeldungen von den neuen Zuhörern bekommen und noch etwas cooles ist dabei: es ist eine durchmischtere Menge an Zuhörern, Leute aller Altersklassen, männlich und weiblich, alle möglichen Leute, wohingegen Hot Water Music ein kleineres Spektrum an Zuhörerschaft hatte.

Redaktion: Würdest du sagen, dass dein neues Material eher für Erwachsene geeignet ist?

Ich weiss nicht so recht (lacht). Mein vier Jahre alter Neffe liebt es!

Redaktion: Ist “Gold Country” ein Konzeptalbum über den Goldrausch?

Das würde ich nicht sagen. Ich habe es aus verschiedenen Gründen Gold Country genannt und der Hauptgrund ist: das ist mein Zuhause. Dort ist alles, wofür ich lebe, alles, was ich für heilig halte und worauf ich hinarbeite. Die Region in der ich wohne, heisst Gold Country, weil sie um Goldminen herum gebaut wurde, während der gesamten Goldrausch-Zeit, außerdem haben wir ja in einer alten, aufgegebenen Goldmine aufgenommen. Es gibt eine Menge Verbindungen damit, aber es war kein Konzeptalbum. Eigentlich wäre es ziemlich cool, ein Konzeptalbum aufzunehmen, wir haben auch darüber gesprochen, weil die Gegend eine Menge Geschichte und Geschichten hat, die sich um den Goldrausch und die Leute spinnen, was sie taten, wie sie lebten und überlebten, sehr toll. Aber nein, dieses Album ist wie jedes andere von mir, ein paar Liebeslieder, politische Lieder, persönliche Lieder.

Redaktion: Ruft die Instrumentierung, vor allem die Streicher, Erinnerungen an diese Zeit wach?

Ich denke, das kommt hauptsächlich von unseren musikalischen Einflüssen. Die meisten von uns, die auf der CD gespielt und gesungen haben – wir sind Jungs aus dem Süden. Wir sind mit Musik von Folk über Bluegrass bis hin zu Country aufgewachsen. Viele Leute haben sogar gesagt, dass sie Gold Country als Country-Album betrachten. Ich sehe das überhaupt nicht so! (lacht) Viele unserer Einflüsse treten einfach zutage. So mag ich das Arbeiten im Studio, wie bei der Produktion dieser CD: Ich lud ein paar meiner Freunde ein – außer Todd Beene, der nahm alles zuhause in seinen Pyjamas auf – alle anderen haben ihren Arsch von der Couch hochbekommen (lacht). Ich liebe es so: Ich habe ein paar Ideen für Melodien oder Lieder – Todd schicke ich sie herüber, damit er sie ansehen kann – aber ich mag es, sie den anderen zuzuschieben und sie ihre künstlerische Arbeit machen zu lassen. Wenn ich Ideen habe, gebe ich sie gerne mit, aber schiebe alles zu und lasse sie frei und lasse sie machen, was sie machen können, und fange ein, was sich richtig anfühlt für den Song. Als Ergebnis davon treten viele der Einflüsse, mit denen wir aufwuchsen und gelebt haben, zutage.

Redaktion: Wieviel Einfluss hatte die Natur auf das Album? Hast du viel Zeit im Wald verbracht, als du über die Songideen nachgedacht hast?

Ich liebe den Wald. Ich wohne in den Bergen, in den Ausläufern der Sierra Nevada. Im Wald zu sein, auf dem Wasser zu sein, das ist mein heiliger Ort. Mit Sicherheit hatte es einen großen Einfluss und inspiriert mich massiv. Dort kann ich abschalten und Frieden und Ruhe finden. Eigentlich aber läuft es nicht ganz so bei mir. Ich würde sagen, ich schreibe durchgehend und manche Songs sind in einer Stunde fertig und andere brauchen fünf bis sechs Jahre, ich weiss nicht. Dann lege ich sie nieder, schiebe sie weg, und nach einer Weile tauchen sie wieder auf und machen mehr Sinn, manchmal geht es aber auch richtig schnell. Im Wald und auf dem Wasser zu sein ist für mich sicherlich die pure Liebe am Leben.

Redaktion: Denkst du, dass die Wälder bei dir durch Klimawandel und ähnliche Entwicklungen gefährdet sind?

Sicherlich. Wir haben jedes Jahr riesige Waldbrände, das ist furchteinflößend. Wir hatten sogar einen Riesenbrand etwa 15 Minuten von meiner Haustür entfernt, gerade als diese Tour anfing. Ich glaube, es passiert überall, auf die eine oder andere Weise. Speziell im trockenen Kalifornien mit starken Winden werden die Sommer heisser und trockener und wir bekommen weniger Regen, alles ändert sich.

Redaktion: Was denkst du, wieviel Einfluss das Umfeld und der Ort des Studios auf das Album hatten?

Riesigen. Das Studio ist völlig ab vom Schuss. “Ich geh mal eben Kaffee holen” oder “mal eben Essen holen” ist nicht drin. Du machst dein eigenes Essen, deinen eigenen Kaffee. Wenn du irgendwohin läufst, gehst du in den Wald oder runter zum Fluss. Wir haben in einer kleinen Hütte gewohnt, die Minenarbeiter vor Jahren gebaut haben, wir haben dort ausgeharrt und waren im Studio bis unsere Ohren oder Hände müde waren. Und abends dann haben wir ein großes Feuer gemacht und daran gesessen und darüber gesprochen, was wir gemacht haben und was wir noch machen müssen. Es könnte keinen anregenderen oder perfekteren Ort geben, um komplett in sein Projekt und seine Musik abzutauchen. Von dort ist großer Einfluss zu verzeichnen. Die Vorgehensweise diesmal – bisher waren alle meine Aufnahmesessions unter Zeitdruck, wegen der Zusammenarbeit mit anderen Produzenten, wegen deren Terminkalendern – diesmal, weil ich die Zügel in die Hand nahm und selber produzierte, hatte ich einfach ein paar Ziele, die ich mir gesetzt hatte: ich wollte, dass es finanziell Sinn macht, in einem sinnvollen Zeitrahmen von der Bühne läuft, dass meine Freunde einen Teil des Geldes bekommen und natürlich, das bestmögliche Album zu machen. Ich habe das Ganze ziemlich gestreckt, die Vorproduktion begann schon im Januar, da nahm ich die ersten Demos auf, und einiges davon ist bis zum Ende dringeblieben. Dann gings auf die Europatour, von dort zurück ins Studio für ein paar Wochen, dann eine Pause, dann wieder ins Studio für ein paar Tage. Ich liebe es, es so zu arrangieren, denn diesmal war das erste Mal, dass ich Sachen aufnahm und mich nicht beeilen musste – natürlich macht man sich im Studio immer Sorgen über Zeit und Geld, aber – diesmal hatte ich alles so zurechtgelegt, dass ich Zeit hatte, mich ein wenig auszuruhen und über die Musik nachzudenken, was ich passend oder unpassend fand, was gut war und was noch gemacht werden musste. Insgesamt war das für mich nie abgeschlossen, bis ich die fertige Platte in Händen hielt, und das war erst vor ein paar Wochen.

Redaktion: Das klingt ja nach einer Menge Arbeit... Wie willst du das bei deinem nächsten Album übertreffen?

Darüber mache ich mir keine Sorgen, ich denke nicht mal auf diese Weise darüber nach. Wenn's den Leuten gefällt, ist das cool; wenn nicht, dann ist das auch in Ordnung. Ich werde deswegen nicht aufhören, Musik zu machen. Natürlich würde ich gerne immer etwas anders machen und die Alben immer besser werden lassen. Theoretisch wollen das ja alle Musiker; wir wollen unser Instrument besser beherrschen, bessere Songs schreiben. Ich glaube, es ist ungesund für einen Künstler, herumzusitzen und zu sehr auf diese Weise darüber nachzudenken. Es ist ein schmaler Grat. Ich glaube an harte Arbeit und daran, dass man sein Handwerk pflegen und daran feilen muss, egal was man für ein Instrument spielt, oder Songs schreibt, wie auch immer. Ich glaube, es ist nicht gut, zu sehr darüber nachzudenken: “Wie schreibe ich die nächste Platte so, dass mehr Leute sie mögen werden?” Das macht in meinen Augen nicht viel Sinn. (lacht) Ich mache mir keine Sorgen darüber. Wir machen einfach weiter und sehen, was passiert.

Redaktion: Inwiefern beeinflusst dich denn deine Zeit in Gainesville noch beim Schreiben deiner Musik?

Es beinflusst mich durchaus. Gainesville war immer ein guter Ort für Musik, es gab dort immer gute Musik. Ich habe viele Freunde dort, aber ich bin seit... [grübelt]... etwa 15 Jahren auf Tour und in dieser Zeit lernt man eine Menge Communities in verschiedenen Städten kennen und findet in ihnen allen Magie. Gainesville inspiriert mich, aber es inspiriert mich nicht mehr als Grass Valley oder Wiesbaden oder Stuttgart. (lacht) Es gibt großartige Dinge und tolle Musik in vielen der Orte, die ich jahrelang bereist habe und im Zeitverlauf habe ich überall Verbindungen und gute Freundschaften geschlossen. Es ist ein Teil des Puzzles.

Redaktion: Denkst du, dass der Grundgedanke deiner Songs eher vom Text oder eher von der Melodie übertragen wird?

Ich glaube, sie gehen Hand in Hand. Ich kann nicht sagen, dass ich absichtlich und hauptsächlich eine Nachricht vermitteln will. Meine Lieder sind eher wie eine Therapie für mich. Ich schreibe Musik, um Dinge loszuwerden, die Gedanken aus meinem Kopf zu bekommen. Musik ist eher Bestätigung für mich und meine Familie und Freunde als das Streben, jemand zu sein, der ich nicht bin. Darauf aufbauend finde ich es wichtig, nach Melodien zu suchen, die mich bewegen, die mich entweder entspannen oder aufstehen und tanzen lassen. Ich glaube, sie gehen Hand in Hand.

Eingetragen von ab am 16.09.2009.

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