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Umfang: 90 Min.
Genre: Dokumentation
VÖ: 2007
Label: Eigenproduktion
15.11.2007 - München ist, als bayrische Landeshauptstadt, ja so etwas wie das Prunkstück der bajuwarischen Folklore, der Mutterschoß der Schickeria und auch die Vorzeigestadt, was die bundesdeutsche Sicherheit angeht. Beispiel hierbei ist der Papstbesuch oder die geplanten Chaostage vor einigen Jahren, die klaglos scheiterten - dank der bayrischen Polizei und der straffen Organisation, die dahinter steht. Das ist also München. Bieder, katholisch, traditionell und ordentlich. Somit augenscheinlich also alles andere als die ideale Stadt für Punks.
Dennoch oder gerade deswegen hat München eine sehr interessante Punk-Kultur vorzuweisen. Die Weisheit "Druck erzeugt Gegendruck" beschreibt die Münchner Punk-Geschichte wohl am besten. Denn der Spirit des Punks ist ja bekanntlich die Rebellion. Und diese Grundhaltung wird natürlich umso mehr geschürt, wenn man dagegen angehen will. Aus diesem Grund ist die Geschichte der Punks in München alles andere als langweilig. In Verbindung mit Ereignissen ihrer Zeit und der Tradition von Rebellion innerhalb Münchens (Elser, Scholl, Thoma) haben die dort ansässigen Punks somit volle Daseinsberechtigung. In Verbindung mit dem bajuwarischen Stursinn wird der Münchner Punk als Individuum, verstärkt natürlich als Masse innerhalb der Subkultur, zu einem hervorragenden Gegenpol zur bayrischen Biederkeit. Dadurch wird er zu einem Symbol für Freiheit und Individualität innerhalb der bundesdeutschen Überwachungs- und Sicherheitsvorzeigestadt Nr. 1.
Und gerade deswegen beginnt der Film "Mia san dageng! Punk in München" mit einem Prolog über das Vorzeige-München und die Geschichte der Rebellion und den Kampf für Freiheit und Individualismus innerhalb der Stadt. Eine informative Zusammenfassung, bis es zum "Urknall" des Punks kam. Ab hier kommen die Punk-Veteranen von damals zu Wort. Sie erzählen, wie es war in dieser Zeit Punk zu sein. Damals, als der Punk noch neu war und in jeder Form seines Daseins noch provozierte. Zahlreiche Geschichten, Anekdoten und Analysen kriegt man von unterschiedlichen Münchner Szene-Leuten in Form von kurzen Einspielern erläutert. Des Weiteren sieht man Unmengen Aufnahmen aus der Zeit. Und das nicht, so wie ich es erwartet hatte, mit ausschließlich qualitativ schlechte Live-Mitschnitte, wo die Kamera ganz hinten im Saal aufgebaut ist, sondern Ausschnitte aus Filmen, Musikvideos und Live-Mitschnitten, die sich allesamt sehen lassen können. Zwar sind auch hier qualitativ unterschiedliche Aufnahmen vorhanden, aber es sind keine dabei, von denen man sich wünscht, dass man es besser weggelassen hätte. Natürlich kann man in so einem Film nicht alles in jedem Detail aufarbeiten, aber viele wichtige und interessante Themen werden angesprochen. Man bekommt zahlreiche Informationen und – was das Wichtigste ist – das Lebensgefühl von damals übermittelt. So erfährt man, wie die Szene in München aufblühte, wie das Lebensgefühl innerhalb der Szene war, was auf Konzerten abging, wie sich Bands von der Zeitgeschichte haben beeinflussen lassen – so war z.B. das Dachau-Lied von A&P eine Reaktion auf das Oktoberfest-Attentat in München – und wie man als nonkonformer Punk Probleme mit der Münchner Exekutive und der Straußschen Politik hatte. Alles absolut rund, interessant und informativ. Bis zur Minute 45. Dann kommt ein Bruch. Denn wenn man die Münchner Punk Szene betrachtet, bleibt das Stichwort "Freizeit 81" nicht aus. Das Thema wurde jedoch abgefertigt mit einem Einspieler. Darin lesen nicht identifizierbare Personen aus einem Flugblatt von damals vor. Mehr nicht. Der Grund hierfür ist ein ausdrücklicher Wunsch früherer Mitglieder, nicht mehr zu diesem Thema zu bringen, da es bei "Freizeit 81" nicht um einzelne Personen geht, sondern um die Aktionen rund um "Freizeit 81". Aus meiner Sicht ist das jedoch sehr grenzwertig, da nicht verdeutlicht wird, dass es sich hierbei um Zitate des – in eine radikale Richtung gehendes - Flugblattes handelt.
Danach werden noch ein paar Phänomene der späten 80er Jahre behandelt, bis ein weiterer Bruch kommt. Denn im Laufe der 80er Jahre wurde es immer ruhiger in der Münchner Punk Szene. Doch anstatt zu durchleuchten, was in dieser Zeit und in den 90ern in der Szene los war, macht man einen weiteren Zeitsprung, berichtet von der Rückkehr vieler Punk-Bands im neuem Jahrtausend und welchen Einfluss das "Punk in München" Projekt und das Fanzine "Kruzefix" auf die positive Entwicklung der Münchner Punk-Szene hatte. Das ist einerseits ärgerlich, weil man gerne mehr über die Zeit bis dahin erfahren hätte, andererseits hat man das Gefühl, dass die mehr oder weniger objektive Betrachtungsweise, die zu Beginn der Doku noch in gewisser Weise vorhanden war, plötzlich nicht mehr vorherrschend ist. Politische Botschaften werden eingeblendet, und allgemein wird der Streifen zu einem Werbefilm für das "Punk in München" Projekt, dessen Macher auch für den Film selbst verantwortlich sind.
Das Engagement und die Leistung der Filmorganisatoren in allen Ehren, doch zum Ende des Streifens bekomme ich zumindest einen faden Beigeschmack. Hier hat man die Chance vergeben, eine rundum gelungene Dokumentation abzuliefern. Gut, man hat sich auf die Fahnen geschrieben, ein absolutes Do-it-Yourself zu sein und hat sich selbst nie einen bestimmten Anspruch gesetzt. Deshalb liegt es allein bei den Machern, wie der Film letztendlich aussehen soll.
Am Ende der knapp 90 Minuten kommen dann noch einmal alle Interview-Partner zu Wort. Auch einige Nachwuchs-Punks von heute wurden interviewt. Danach folgt der komplette Song "Mia san dageng!", der von zahlreichen Punkmusiker aus München unter den Namen "Einstürzende Musikantenstadl" dargebracht wird und auch allein für den Film komponiert wurde. Im Abspann geht es dann weiter mit Wortbeiträgen. Hier jedoch hauptsächlich von ganz "normalen" Punks von der Straße und Punksympathisanten. Auch hier bleibt ein fader Beigeschmack. Denn nicht nur der Punk wird hier wieder glorifiziert, sondern auch der Alkoholkonsum, beispielsweise auch von einem 14-Jährigen Jungen. Da wird dem Zuschauer zum Schluss doch wieder näher gebracht: so geil Punk ist, so geil die Rebellion ist und so geil auch die Musik ist, auch diese Subkultur wird gerne missverstanden und bietet einen revolutionistischen Deckmantel für asoziales, stupides und respektloses Verhalten. Jede Medaille hat eben zwei Seiten.
Was bleibt am Ende des Films? Mir hat es großartig gefallen, einen Einblick in die frühe Münchner Punk-Szene zu bekommen. Und dann auch noch durch die Augen der Leute, die die Szene damals geprägt haben. Trotz den von mir dargelegten Schwächen hat man hier einen Film abgeliefert, den es in dieser Form bisher noch nicht gab.
Musikbeiträge von Bands wie die Spider Murphy Gang, A&P, United Balls, ZSK oder Marionetz sind zu hören. Außerdem kommen auch entsprechende Musiker zu Wort. Alles in allem ist "Mia san dageng! Punk in München" absolut sehenswert für alle und Pflicht für all diejenigen, die sich für die Punk-Kultur interessieren. Nicht nur großartige Musik begleitet den Zuschauer durch den Film, sondern auch der Punk-Spirit, der wohl noch Generationen – in welcher Form auch immer – überleben wird. Katz & Olli, die Macher des Kruzefix Fanzines und gleichzeitig die Leute hinter dem "Punk in München" Projekt haben hier einen Film vorgelegt, der sicher ein Vorbild sein wird für weitere Do-it-Yourself Filmemacher, in welcher Stadt auch immer. Zeithistorisch hat man hier ein wertvolles Filmdokument abgeliefert. Von daher gehen meine Daumen summa summarum beide nach oben. Pflichtprogramm! (sk)
Unsere Bewertung:
4 / 5 Punkte