Broilers - Santa Muerte

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Broilers - Santa Muerte

Label: People Like You Records
VÖ: 10. Juni 2011

09.06.2011 - Was sich bei den Broilers seit ihrem letzten Album “Vanitas“ im Jahr 2007 getan hat, ist wohl kaum in Worte zu fassen. Der konsequente Weg nach vorne, den die Band in den vergangenen Jahren bzw. schon fast Jahrzehnte gegangen ist, hat sich ausgezahlt. Nach dem letzten Album gab es einen Knall und die Broilers standen auf den ganz großen Bühnen und waren die Highlights auf diversen Festivals. Die Anhängerschaft der Band wurde immer und immer größer und ein Ende des Erfolgs ist nicht in Sicht. Dass ich den Broilers diesen Erfolg schon sehr früh prophezeit habe, ist kein Geheimnis. Ebenso wenig, dass ich diesen Erfolg solchen Bands gönne. Also Bands, die sich treu bleiben und weiterhin die Musik machen, auf die sie selbst Lust haben. Also nichts, was für die dumpfe Masse gemacht ist, sondern das, was mit Herzblut erschaffen wird. Trotzdem muss ich zugeben, dass es ein merkwürdiges Gefühl ist, Bands, die man gehört hat, als sie noch keine Sau kannte, jetzt auf den großen Bühnen zu sehen.

Was die Broilers angeht, war ich jedenfalls sehr gespannt, wie sich die Musik der Band in Zukunft entwickeln wird. Eigentlich war ich mir sicher, dass sie ihren Weg weiter gehen werden. Trotzdem hatte ich irgendwie keinerlei Erwartungen und fieberte dem neuen Album auch nicht sonderlich entgegen. Als dann “Harter Weg“ vorgestellt wurde, freute ich mich, dass die Broilers mal wieder einen soliden Ohrwurm ablieferten. Inhaltlich und vor allen von den Stilmitteln her gesehen gab es, anders als bei den Platten zuvor, diesmal keine großen Veränderungen. Aber zumindest bekommt man mit diesem Titel wieder die Broilers so um die Ohren gehauen, wie man sie kennt und mag. Erwartungen, was den Rest angeht, waren trotzdem irgendwie nicht vorhanden.

Als ich die Lieder des neuen Albums “Santa Muerte“ dann vor mir hatte und sie nacheinander durch hörte, war ich entsetzt und enttäuscht über das, was ich zu Ohren bekam. Nur ein klein wenig Freude, endlich auch mal was negatives über die Broilers schreiben zu können – was meine bisherigen Texte über die Band nur umso authentischer machen würde – war vorhanden. Ansonsten war mir sofort klar, dass diese Platte ein Reinfall ist und nicht lange in meinem CD-Spieler überleben wird. Zwar ist mir auch klar, dass große Werke und gute Musik in der Regel viel Zeit brauchen, bis sie sich entfalten können und bis man Gefallen daran findet. In diesem Fall war ich mir aber sicher, dass das Ende des gemeinsamen Weg mit den Broilers gekommen ist. Denn die Broilers waren bzw. sind die einzige Band, die sich parallel mit meinen Musikgeschmack weiterentwickelt hat. Angefangen in den späten 90ern mit der Oi!-Musik, bis hin zum Punkrock und den vielen anderen Musikrichtungen, die sie im Laufe der Jahre zugelassen haben.

Aber eine solche Enttäuschung gab es bisher noch nicht. Außer vielleicht als das zweite Album “Verlierer sehen anders aus“ auf den Markt kam. Nachdem ich einige Jahre lang immer und immer wieder das Debüt-Album der Broilers hörte, war ich von den ersten Veränderungen des Sounds schwer enttäuscht und für mich war die Musik anfangs nur nichtssagendes Geschrammel – mit Ausnahmen von 1-2 guten Stellen. Erst im Laufe der Jahre konnte ich Gefallen an dem Album finden. Dies war aber auch ein Sonderfall, schließlich war “Fackeln in Stum“ der Einstieg für mich und es ist bis heute eines der besten deutschen Oi!-Alben, von daher war dieser unerwartet anderer Sound erst einmal sehr gewöhnungsbedürftig. Ab dem zweiten Album habe ich mich dann auf die fortwährenden Weiterentwicklungen der Broilers eingestellt und war auf alles gewappnet. Und so war es nur noch eine Freude, die Alben nacheinander erleben zu dürfen. Lediglich bei “LoFi“ brauchte ich ein wenig Anlauf. Auch “Vanitas“ brauchte viele Runden im CD-Spieler, um seine Qualitäten in meinen Gehörgängen richtig entfalten zu können. Ebenso der Slime-Coversong “Zusammen“ von der “Ruby, Light & Dark“-Single. Anfangs noch recht lahm, wurde das Stück im Laufe der Zeit zu einem regelrechten Dauerbrenner in meiner Playliste. Alle bisherigen Alben – außer eben “Verlierer sehen anders aus“ - haben gemeinsam, dass ich von Beginn an wusste, dass es etwas Besonderes ist und ich nur ein wenig brauche, bis die Musik richtig flutscht.

Bei “Santa Muerte“ ist alles anders. Ich merkte von Beginn an, dass ich hier ein Album vor mir habe, dass mir ganz und gar nicht liegt. Man hörte zwar, dass es Musik der Broilers ist, trotzdem fehlte mir das, was die Broilers für mich bisher ausmachten. Power, Attitüde, Pathos (ganz wichtig!) und eine Menge Gänsehautfeeling. Als ich mir die Lieder nacheinander durch hörte, war ich schwer enttäuscht und musste an alte Hits wie “Dein Leben II“, “Wenn du es willst“, “Die Geister die ich rief“, “Hans im Glück“, “Punkrock Love Song“ oder “Glück auf“ denken. Das sind alles Lieder, die auf ihre Weise genial und einmalig waren. Alles Titel, die ich immer und immer wieder hören konnte, ohne, dass sie langweilig wurden. Und das Wichtigste: Alles Lieder, mit denen ich etwas verbinde. Unzählige Broilers-Lieder haben mich und wichtige Lebensphasen von mir musikalisch begleitet und sind – so schmierig sich das auch anhört – der Soundtrack meines Lebens (An dieser Stelle Grüße an die Radiostationen, die mir den Schrott der 80er und 90er als eben jenes andrehen möchten). Für mich war die Verbundenheit mit dieser Band mit “Santa Muerte“ zu Ende. Denn was ich hörte, war Pop-Punkrock. Es wirkte so, als wenn die Broilers all das, was sie ausmachten, in den Song “Harter Weg“ gelegt haben und für den Rest hat es dann eben nicht mehr gereicht. “Harter Weg“ ging direkt in die Ohren und machte Spaß. Das Lied war kein Meilenstein, aber eben ein guter Broilers-Titel. Der Rest war ein wenig Punkrock mit unheimlich viel Pop-Elementen. Sammys Stimme hörte sich in meinen Ohren nur noch verloren an, da sie zu diesen neuen Stil einfach nicht mehr passt. Es wirkte alles so, als wenn die Broilers nun damit beginnen, ihre Musik Charttauglich zu machen. Da ich mir nicht vorstellen kann, dass die Broilers dies bewusst tun, dachte ich mir, dass es einfach zu den natürlichen Entwicklungsprozess der Band gehört und die jugendliche Power der letzten 15 Jahre nun einfach erloschen ist.

Da ich weiterhin im Hinterkopf hatte, dass gute Alben einfach Zeit brauchen und die Broilers und ihre Musik einfach unberechenbar sind, habe ich mich noch zurück gehalten mit meiner Rezension und habe nur einige erste Notizen aufgeschrieben. Ich wollte der Platte ein wenig Zeit geben. Und irgendwie hatte ich das Gefühl (die Befürchtung?), dass sich zumindest einige Lieder noch zu richtige Hits entwickeln werden. Denn schon zu Beginn habe ich gemerkt, dass neben “Harter Weg“ auch “33 rpm“ und “Vom Scheitern“ ganz witzig sind. Beide Lieder zündeten nicht sofort. “33 rpm“ ging schon gut ins Ohr und bei “Vom Scheitern“ gefielen mir anfangs lediglich das Verspielte und die neuen musikalischen Stilelemente. Aber so richtig vom Hocker gehauen hat mich nichts.

Irgendwie wollte ich mir eine Übersicht über das Album verschaffen. Aus diesem Grund war mein nächster Schritt, dass ich eine Liste angefangen habe. Dort notierte ich mir die Lieder, die mir gefallen haben, die Lieder, bei denen ich unentschlossen war und die Lieder, die mir nicht gefallen haben. Zu Beginn hatte ich im mittleren und unteren Bereich sehr viele Namen stehen. Dann kam der Moment, als ich merkte, wie gefährlich das neue Album der Broilers doch ist: Ich lag im Bett, war dabei langsam einzuschlafen und merkte, wie mir die Melodie von “Vom Scheitern“ durch den Kopf schwirrte. Als ich dann durch das aktuelle Punkrocknews-Interviews mit den Broilers erfahren habe, dass die Idee zu diesem Lied den Auswanderer-Dokus anzukreiden ist, habe ich mir den Song noch einige Male angehört und fand ihn bei jedem Durchlauf besser. Als ich die anderen Tracks immer mal wieder anhörte, fiel mir auf, wie rund diese plötzlich laufen. Schon fast verzweifelt suchte ich mir Lieder, die mir nicht gefallen haben, um meinen ersten Eindruck zu bestätigen. Doch auch diese haben mir immer besser gefallen. Als sich dieser Wohlklang bei allen Liedern langsam einstellte, gab ich dann dem ganzen Album eine Chance und ließ es mehrfach hintereinander durch laufen. Und der positive Eindruck von “Santa Muerte“ verfestigte sich mehr und mehr...

Dieser Effekt in einer solch krassen Form ist mir bislang noch nicht unter gekommen. Während ich nach dem ersten Durchhören vor der Trackliste saß und merkte, dass kein einziges Lied vorhanden war, dass mich so angesprochen hat, dass ich es nochmal hören wollte, war es nun so, dass alles, was ich mir angehört habe, mir plötzlich gefallen hat. Vielmehr noch! Ich entdecke bis heute immer wieder neue Passagen, Textstellen und musikalische Feinheiten, die mich vom Hocker hauen. Von den 45 Minuten Belanglosigkeiten, von denen ich anfangs schreiben wollte, sind jetzt 14 Tracks geblieben, die sich mehr als würdig in die bisherige Broilers-Diskographie einreihen. Musikalisch – inklusive den obligatorischen neuen Einflüssen - und textlich haben Sammy und Konsorten wieder mal ein Brett abgeliefert, dass durch und durch gefällt. Ein T-Shirt-Spruch jagt den nächsten! “Santa Muerte“ ist ein musikalischer und textlicher Irrgarten, der unheimlich viel bietet und dabei zu Beginn noch so simpel, eintönig und austauschbar wirkte.

Trotzdem muss ich sagen, dass mir bisher das Gesamtpaket noch etwas zu glatt wirkt. Die Ecken und Kanten von Platten wie “LoFi“ vermisse ich ein wenig, ebenso ist der Pathos an vielen stellen nicht mehr so spürbar wie früher. An anderen Stellen wird man dann dafür wieder entschädigt.

Anspieltipps zu nennen, ist an dieser Stelle überflüssig. Ich bin mir sicher, dass es vielen Hörern so gehen wird, wie mir. Auch wenn die Herangehensweise an die Musik ebenso unterschiedlich ist wie der Musikgeschmack der unterschiedlichen Hörer. Mein Highlight ist definitiv weiterhin “Vom Scheitern“, weil es einfach ein großartiges Thema ist und die Broilers das Problem an der Sache so unglaublich gut auf den Punkt bringen (“Die Welt, sie wartet nicht auf Dich … Wirst überall sein, was Du bist, nicht erwartet, nicht vermisst. … Das ist Scheitern in L.A., das ist Versagen in Madrid.“) und das Lied ist trotzdem so herrlich verspielt arrangiert. Als Pendant zu “(Ich bin) bei dir“ bekommt man auf “Santa Muerte“ den Hit “Gemeinsam“ geboten, der zu Beginn noch wie ein langweiliger Abklatsch des eben genannten Titels wirkt, aber mit der Zeit so unglaublich geil ins Ohr geht, sodass es schon fast weh tut. Ebenso die Ballade “Singe, Seufze & Saufe“, das vom Titel her so ungemein bescheuert daher kommt und beim ersten Anhören vielerorts mit Sicherheit für Kopfschütteln sorgen wird. Man kann sich kaum vorstellen, wie das Lied live vorgetragen werden soll und es kamen schon Phantasien auf, wie Sammy mit Bierbecher beschmissen wird. Zu meinen Erstaunen hatte ich 1-2 Nächte nach “Vom Scheitern“ dann plötzlich genau dieses Lied als Ohrwurm im Kopf. Am Tag darauf habe ich es mir dann noch ein paar Mal angehört und auch dieser Track rutschte in meiner Liste ganz nach oben. Die Broilers haben es also doch mal wieder geschafft und der geplante Verriss muss leider auf sich warten. Da muss wohl ne andere Band dran glauben...

Zur Ausstattung der gefühlten 20 Editionen von “Santa Muerte“ kann ich an dieser Stelle leider nichts schreiben. Mir liegt lediglich die CD mit dem dazugehörigen Beiheft vor. Diese beiden Verpackungselemente sind aber wieder toll gestaltet. Im 24-seitige Booklet kriegt man neben allen Liedtexten zahlreiche Pressefotos zu sehen, die richtig was her machen. Gerade die beiden doppelseitigen Bandfotos kommen sehr gut. Grafiken, Aufbau und Gestaltung des Beiheftes ist mal wieder ein optischer Augenschmaus. Wenn der Rest der Veröffentlichen genauso liebevoll gestaltet sind, gibt es nichts zu meckern.

Abschließend kann ich nur noch einmal sagen, dass jeder dem Album Zeit geben soll. Guter Rotwein muss schließlich auch erst mal eine Weile ziehen. Von daher sollte man sich auch nicht von den poppigen Elementen und den Chören, die anfangs sehr unpassend wirkten, abschrecken lassen. Viele werden die Südseeähnlichen Einflüsse (ich vermute dass das Bongos und Panflöten oder so etwas in der Art sind?) sicher auch merkwürdig finden. Obwohl das eines der wenigen Sachen ist, die ich von Beginn an gemocht habe.
Das Gesamtpaket ist jedenfalls wieder etwas ganz Besonderes. Die Broilers machen also offensichtlich noch immer genau ihr Ding, denn sonst kann man so ein Brett von Album nicht auf die Beine stellen. Von daher sei ihnen ihr Erfolg vergönnt und es bleibt zu hoffen, dass die Band uns weiterhin mit solch großartigen Songs verwöhnt.

Ich selbst habe während des Verfassens dieses Textes das Album durchgehend gehört und ich glaube, dass es mir schwer fallen wird, die Musik gleich abzuschalten. Der Sound geht, wie schon bei den Alben zuvor, durch Mark und Bein und lässt den Hörer nicht mehr los, wenn man einmal Gefallen daran gefunden hat. Die Folge davon sind fast rauschähnliche Zustände. Bitte mehr davon! Fazit: Die Wege haben sich anno 2011 also noch nicht getrennt. Die Broilers haben mich also noch eine Weile am Hals... und ich die Broilers. Es gibt schlimmeres. (sk)

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