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Redaktion: Das Label Sunny Bastard veröffentlicht deinen Film "Brennende Langeweile" auf DVD. Ebenso hat das ZDF den Film nach langer Zeit wieder im Fernsehen ausgestrahlt. Bist du über die neue Aufmerksamkeit, was den Film betrifft, erfreut?
Natürlich, "Brennende Langeweile" war schließlich mein Spielfilmdebüt und welcher Film findet nach fast 30 Jahren noch immer ein Publikum?
Redaktion: Wie kam es zu diesem Film?
Ich hatte 1977 "Punk in London" gedreht, außer Don Letts "Punk Rock Movie" die einzige Punk Dokumentation aus der Anfangszeit. (Erscheint auch noch dieses Jahr auf DVD in Deutschland).
Das erste Konzert, das wir überhaupt filmten, waren die Adverts im Marquee. Es war restlos überfüllt. Man definierte "Ausverkauft" wohl so, dass der letzte, der ein Ticket kauft, keinen Zentimeter mehr weiter Richtung Saal gehen kann. Es war so heiß, dass der Schlagzeuger später auf der Bühne ohnmächtig wurde. Wir waren rechtzeitig da und hatten die Kamera am Mischpult aufgebaut. Eine Stunde vor Konzertbeginn fiel dem Kameramann Helge Weindler ein, das wir noch einen zusätzlichen Akku aus unserem Auto brauchen könnten und so er schickte seinen Assistenten los. Der blieb jedoch in der Menschenmasse stecken (wie wir später erfuhren) und Helge ging los ihn zu suchen. Als er auch nicht weder kam, meinte der Tonmann, dann könnte er sich ja getrost mal ein Bier holen. Als die Adverts dann plötzlich auf die Bühne kamen, stand ich alleine mit Kamera und Tonbandgerät da und musste beides gleichzeitig bedienen. Für die Tonqualität war das nicht gerade zuträglich. Als wir die Konzertaufnahme nachholen wollten und dafür extra bis nach Coventry fuhren, erhielten wir dort von Veranstalter Drehverbot. Die Band war total desolat, TV Smith saß unter dem Tisch, an dem sich der Rest betrank. Von einem Interview, das wir mit den Adverts machten, verschwand das Tonband. Also eine Pleite auf der ganzen Linie. Da mich Schwierigkeiten reizen, war es eine Herausforderung, mit der Band einen eigenen Film zu machen.
Ich hatte britische Punkbands in der BRD erlebt und war ein paar Tage mit den Clash auf deren Deutschlandtour unterwegs. Daher wusste ich, was für Schwierigkeiten und Repressalien an der Tagesordnung waren, aber auch wie viel Spaß man hatte. Also schrieb ich ein Drehbuch und weil ich als roten Faden eine Art Lovestory wollte, war es nahe liegend, eine Band mit einer attraktiven Musikerin zu wählen: The Adverts!
Redaktion: Unter welchen Kriterien hast du die Schauspieler damals ausgewählt?
Die deutschen Darsteller waren alles Freunde und Bekannte von mir. Die aus dem Sauerland kannte ich schon lange und mit denen aus München hing ich jeden Abend in dieselben Clubs und Kneipen rum.
Die Adverts standen ja von Anfang an fest, ich wurde jedoch misstrauisch, als sie nie zu sprechen waren, wenn ich in London weilte. Ihr Manager Michael Dempsey sagte mir, dass sie entweder auf Tour, im Urlaub oder im Studio seien. Erst bei Drehbeginn erfuhr ich, dass die Band Film & Fernsehen und die Medien hasste und dachte, sie würde eine Deutschland Tournee machen, die auch gefilmt würde - also keinen Spielfilm mit Drehbuch, Inszenierung etc... (Es gab übrigens gar keine Tour, die hat die Filmproduktion organisiert, das Publikum wurde mit Freibier angelockt.) Weil es mir unmöglich erschien, einen Film mit Laien zu drehen, die ich persönlich gar nicht kannte, habe ich dann zusätzlich die Figur des Roadies erfunden und dem das Gros der Spielszenen gegeben. Mein Freund Roadent (Roadie bei den Sex Pistols und den Clash) spielt ihn, ich hatte ihn bei "Punk in London" kennen und schätzen gelernt.
Redaktion: Wie ist dir das Phänomen "Punk" damals über den Weg gelaufen?
Seitdem ich mit 12 die erste Beatles Single gehört hatte, waren für mich Musik und die Popkultur das Wichtigste im Leben. Nach Beat kam dann die Psychedelic Phase, Metal und schließlich Glam Rock. Ich las jede Woche Melody Maker und NME und Punk war genau das, worauf ich immer gewartet hatte.
Redaktion: Wie hast du den frühen Punk damals erlebt?
1977 war London die aufregendste Stadt der Welt. Jeden Tag entstanden neue Bands, die ein paar Stunden später die erste Single in den Läden hatten. Im überschaubaren Soho (10 minutes walking distance) hatte man jeden Abend die Qual der Wahl, ob man lieber Generation X, Siouxsie and the Banshees, die Boomtown Rats oder die Jam sehen wollte. Und die Musiker konnte man anschließend zwanglos an der Bar treffen. Es passierte ungeheuer viel und die Energie war mitreißend.
Redaktion: Hast du während den Dreharbeiten in der -ffentlichkeit miterlebt, wie der Punk vom typischen deutschen Spießer wahrgenommen wurde?
Klar. Wenn man anders aussah, reichte das Spektrum von Angaffen bis Anpöbeln. Dazu gehörte gar nicht viel (wie man im Film sieht, hatten die Adverts ja keine grünen Iros oder so), da reichten schon eine Lederjacke und ein paar Badges.
Redaktion: Gab es krasse Begebenheiten oder Anekdoten zu den Dreharbeiten von "Brennende Langeweile"?
Mehr als genug. Das fing ja damit an, dass die Adverts gar nicht wussten, dass sie auch als Darsteller gefragt sind und mir der Manager nahe legte, die Szenen so zu gestalten, dass sie sie für Realität hielten. Zum Glück war ihnen ja alles geläufig, was im Buch stand und die Locations wie Zoll oder Polizeiwache waren genauso echt wie die Beamten. Mein Drehbuch konnte ich vergessen und meistens haben wir die Szenen improvisiert, das funktionierte zunehmend besser. Da die Adverts sich selber darstellten, haben sie sich allerdings geweigert, etwas zu spielen, was nicht mit ihrer Person in Einklang stand. So ist z.B. das Ende im Buch ganz anders. Aber gerade das Dokumentarische macht den Film heute so interessant und spannend.
Wir sind auch in Realität aus drei Hotel geflogen, wir mussten Roadent am Flughafen abfangen und zum Bleiben überreden, als er nach einer Schlägerei mit einem Hotelbesitzer "fucking Nazi KZ Germany" verlassen wollte etc....
Redaktion: Wurdest du bisher noch oft auf den Film angesprochen oder blieb er eher unbeachtet?
Bei der Erstsendung hatte "Brennende Langeweile", glaube ich, die höchste Einschaltquote, die je ein "Kleines Fernsehspiel" bis dahin erreichte. Der Film lief auch erfolgreich auf der Berlinale, anderen Festivals und im Kino. Über 20 Jahre lang war "Brennende Langeweile" mein einziger Spielfilm, der von der Kritik positiv aufgenommen wurde. In den 80er Jahren geriet der Film in Vergessenheit, aber so seit etwa 5 Jahren steigt das Interesse an Punk wieder stetig.
Redaktion: Gab es nach den Dreharbeiten noch einmal Kontakte zu den Bandmitgliedern von "The Adverts"?
Nein. Die Adverts waren damals sehr desolat und haben sich wenig später aufgelöst. Ihren Manager Michael Dempsey habe ich noch öfters getroffen, bis er Anfang der 80er tödlich verunglückte. TV Smith hat mir ein paar mal von gemeinsamen Bekannten Grüße ausrichten lassen und mit Roadent bin ich kontinuierlich im Kontakt, besonders seitdem ich wieder mehr in London lebe. Er spielt auch in meinem Film PENETRATION ANGST (2003) mit.
Redaktion: Wie bewertest du den Film heute?
"Brennende Langeweile" hat dramaturgisch natürlich Schwächen, aber als Zeitzeugnis halte ich ihn für wichtig und überaus gelungen. Auch formal gibt es ein paar nette Momente.
Redaktion: Könntest du dir vorstellen wieder einen Film in dieser Richtung oder wieder eine Szene-Dokumentation zu machen?
Nein. Eine einheitliche, Richtung weisende Szene im Stil von damals gibt es heute nicht mehr, heute ist alles viel mehr aufgesplittert. Ich weiß nicht, was jetzt die Szene ist und hätte keine Lust, z.B. was über deutsche Gangsterrapper zu machen.
Ich plane allerdings einen Film in Rumänien über die Tour einer Englischen Band dort, aber das ist pure Fiction: Horror, Blutgräfin, Kastration, Scheiterhaufen etc...
Redaktion: Hast du dich jemals einer Subkultur zugehörig gefühlt?
Ich habe mich nie zur etablierten Gesellschaft zugehörig gefühlt. Allerdings hielt ich auch nichts von den Heilsbotschaften der Hippies (Landleben und Gemüse anbauen) oder der Linken (in der Gewerkschaft verschimmeln >der lange Marsch durch die Institutionen< oder bewaffneter Kampf und im Knast verrotten). Da war mir Punk (Ablehnung ohne Alternative) schon am Nächsten.
Redaktion: Wie kam es dazu, dass du damals dann zur Mainstream-Filmerei übergegangen bist?
Im Gegensatz zum Music-Biz hat Punk das Filmgeschäft nicht verändert. Mein Ziel war es immer, Genrefilme mit einer klaren Erzählstruktur zu machen, nicht Super 8 oder Underground. Dafür braucht man selbst für Low Budget viel Geld (zu der Zeit mindestens 300.000.-DM).
Ende der 70er litt die BRD unter der Diktatur des 'Neuen Deutschen Films' mit seinen langweiligen, links-spießigen, neo-bildungsbürgerlichen und sozialmiefigen Machwerken. Sonst wurden eigentlich fast nur Sex Klamotten produziert (aber selbst die waren mir noch lieber). Und im TV hatte ich schon gar keine Chance (Jugend galt als Minderheit, nicht als Zielgruppe, wie heute).
Ich hatte damals schon die Ideen, die ich erst 25 Jahre später mit PENETRATION ANGST etc. im UK verwirklicht habe. Mit meinen Kommerzfilmen der 80er Jahre wollte ich beweisen, das ich kassentauglich bin. Das habe ich zwar gezeigt, aber Produzenten und Verleiher gaben mir aber trotzdem kein Geld für meine Projekte sondern nur Aufträge für ihre Stoffe. Wie Fritz Lang gesagt hat: Auch Regisseure müssen essen. Zudem kann auch die Arbeit an einem Film Spaß machen, dessen Thema einen eigentlich weniger interessiert. Ich habe aber trotzdem kontinuierlich eigene Projekte entwickelt, die ich allerdings erst ab 2002 realisieren konnte.
Redaktion: Welches Projekt hat dir in deiner Karriere am meisten Spaß gemacht bzw. an welchem Projekt hängst du am meisten?
Zweifellos die neusten Filme PENETRATION ANGST, LOVESICK-SICK LOVE und TWISTED SISTERS, die ich in den letzten Jahren in England gedreht habe.
Redaktion: Welche Filme, die nicht von dir sind, haben dich am meisten beeinflusst in deinem Schaffen?
Ich weiß nicht, wie viele tausend Filme ich in meinem Leben gesehen habe. Natürlich beeinflussen die einen. Aber so sehr ich auch Josef von Sternberg, Orson Welles, Don Siegel u.a. verehre, bewussten Einfluss sehe ich nicht unbedingt (sonst würden die sich auch im Grab umdrehen). Am ehesten vielleicht Brian de Palma (in der Phase, als er von Hitchcock beeinflusst war - also Hitchcock). Dazu Carpenter, Argento, Bava, Craven, aber auch Jess Franco, Jean Rollin und Russ Meyer. Bei "Brennende Langeweile" waren die Filme von Klaus Lemke für mich vorbildlich, weil die ja auch mit Laien entstanden.
Redaktion: Was ist dein Lieblingsfilm?
Es gibt bestimmt 100 Lieblingsfilme der verschiedensten Genres. Shanghai Express, Touch of Evil, Carrie, Dirty Harry, L'ete meurtrier, The Long Good Friday, La Maschera del Demono, From Dusk till Dawn, Get Carter, Sasori, Audition, Crank u.v.a.m. (allerdings kein einziger aus Deutschland außer 'Rocker').
Redaktion: Was reizt dich an Horror- und Splatterfilmen, die du schon lange kontinuierlich drehst?
Kontinuierlich? Eigentlich erst seit 5 Jahren. Die Musiksachen waren ja mehr ein Hobby für mich. Horror und Thriller waren schon immer das, was ich machen wollte. Splatter spielt in meinen Filmen nur eine unter geordnete Rolle. Warum Horror? Das könnte nur mein Psychiater beantworten, wenn ich einen hätte. Ich drehe eben am Liebsten Filme, die ich selber gerne sehen würde.
Redaktion: Was ist deine zuletzt gekaufte DVD?
'Prime Suspect' (TV Serie UK) und 'Life on Mars' (TV Serie UK)
Redaktion: Welche Musik hörst du privat gerne?
Oberbegriff Rock und manchmal Country, kein Techno, Dance oder Urban. Natürlich auch die alten Sachen, aber ich versuche, Nostalgie zu vermeiden. Von den neueren Acts mag ich die Arctic Monkeys, Kaiser Chiefs, Babyshambles, BRMC, Dimmu Borgir und wie jeder Amy Winehouse.
Redaktion: Welches Bier paßt am besten zu deinen Filmen?
Ich bevorzuge Stella (im UK) oder Jever (in Deutschland). Viele Filme sind jedoch auch sogar nüchtern zu genießen, bei ein paar hilft jedoch nur extremstes Starkbier oder noch besser Stroh Rum unverdünnt/intravenös.
Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Infos über die neuen Filme von Wolfgang Büld: www.darkblackfilms.com
Eingetragen von sk am 14.09.2007.